Verwandtschaft nicht gleich familienähnliche Lebensgemeinschaft

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern befasst sich im Urteil 200 23 306 SH vom 25.09.2023 mit der Unterscheidung zwischen Zweck-Wohngemeinschaft und familienähnlicher Wohngemeinschaft im Falle eines jungen Erwachsenen mit seiner Mutter und zwei (Halb-)Geschwistern, nachdem in vorangehendem Verfahren eine Haushaltsentschädigung bereits aufgrund mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit verwaltungsgerichtlich aufgehoben wurde.

Das Verwaltungsgericht legt die Voraussetzungen dar, unter welchen die degressive Äquivalenzskala beim GBL (Art. 8 Abs. 2 SHV) für Familien und familienähnliche Wohngemeinschaften zur Anwendung kommt.

Bei der Frage, ob eine Wohngemeinschaft wie eine familienähnliche Gemeinschaft und damit wie ein Mehrpersonenhaushalt zu behandeln ist, bildet die gemeinsame Ausübung und Finanzierung aller oder mindestens wichtiger Haushaltsfunktionen wie Essen, Waschen und Reinigen ein zentrales Kriterium (vgl. WIZENT, a.a.O., Sozialhilferecht, N. 674). Entscheidend ist demnach, inwieweit tatsächlich gemeinschaftlich gewirtschaftet wird, da nur dieser Umstand zu Spareffekten führt (vgl. BGer 8C_356/2011, E. 3.2.2.1)

(E. 2.4., Hervorhebungen durch mich)

Und erinnert daran, dass die Beweislast unabhängig des Untersuchungsgrundsatzes und der Mitwirkungspflicht bei derjenigen liegt, die aus der fraglichen Tatsache Rechte ableiten möchte.

Nach der Untersuchungsmaxime ist der rechtserhebliche Sachverhalt grundsätzlich von Amtes wegen festzustellen (Art. 18 Abs. 1 VRPG). Die Partei hat an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken (Art. 20 Abs. 1 VRPG), wobei die Mitwirkungspflicht durch die Aufklärungspflicht der Behörde begrenzt wird. […] Die Mitwirkungspflicht bezieht sich insbesondere auf Tatsachen, die eine Partei besser kennt als die Behörde. […] Bleibt eine behauptete Tatsache unbewiesen, ist nach der allgemeinen Beweislastregel zu Ungunsten derjenigen Partei zu entscheiden, die aus der unbewiesen gebliebenen Tatsache hätte Rechte ableiten können.

(E. 2.6)

Bindend für das Verwaltungsgericht sind vorliegend die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer einen Untermietvertrag mit der Mutter hatte, drei getrennte Hausrats- und Privathaftpflichtversicherungen bestanden und zur Verhinderung einer Eskalation im angespannten Familienverhältnis Kontakt vermieden wurde.

Diese Feststellungen sind bindend und sprechen für das Vorliegen einer Zweck-Wohngemeinschaft bzw. gegen eine familienähnliche Wohngemeinschaft (E. 3.1). Für letztere spricht hingegen, dass die gesamte Familie seit Juli 2000 am … in … wohnte und dies auch noch nach der Scheidung der Eltern und dem Auszug des Vaters des Beschwerdeführers.

(E. 3.1.)

Damit blieben grundsätzliche Zweifel am Bestand einer familienähnlichen Wohngemeinschaft, indes auch einer Zweck-Wohngemeinschaft.

Soweit die Vorinstanz […] von der Verwandtschaft der betreffenden Personen (Vermutungsbasis) auf das Bestehen einer familienähnlichen Wohngemeinschaft (Vermutungsfolge) schliesst, geht sie von einer natürlichen Vermutung aus. Bei einer solchen handelt es sich um ein Element der Beweiswürdigung und keine Beweislastregel. Anders als bei der gesetzlichen Vermutung ist der Beweis des Gegenteils (Hauptbeweis) hinsichtlich der Vermutungsfolge damit nicht gefordert. Die natürliche Vermutung führt daher auch nicht zur Umkehr der Beweislast. Zu prüfen ist vielmehr, ob Anhaltspunkte bestehen, die gegen die vermutete Tatsache sprechen (DAUM, a.a.O., Art. 19 N. 15). Wie zuvor ausgeführt, bestehen hier eben solche.

(E 3.3., Hervorhebungen durch mich)

Aufgrund dieser “offenkundigen Verfahrensversäumnisse der Vorinstanz” (Untersuchungsgrundsatz) ist die Angelegenheit an diese zur Fortsetzung des Verfahrens und weiteren Untersuchung zurückzuweisen.

Was nebenbei immer wieder auffällt: Regelmässig wird auf ein Feststellungsbegehren der Beschwerdeführerin nicht eingetreten, weil ein Gestaltungsurteil erwirkt werden kann. Soweit ersichtlich handelt es sich dabei oft um “Abschreiben” des angefochtenen Entscheiddispositivs, welches regelmässig, z.B. ein Einkommen, eine familienähnliche Wohngemeinschaft oder eine Pflicht “feststellt” bevor ein Budget festgelegt wird.

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