Wohnkosten müssen sich nach tatsächlich verfügbarem Angebot richten – 5.5. Zimmer für 8-köpfige Familie angemessen

Das Verwaltungsgericht Aargau hält mit Urteil WBE.2022.433 vom 24.01.2023 (kürzlich auf SwissLex publiziert) fest, was grundsätzlich klar sein müsste: Bei der Festlegung der durch die Sozialhilfe zu übernehmenden Mietzinse, muss sich das Gemeinwesen nach Preisen tatsächlich verfügbarer Angebote richten.

Das Urteil befasst sich mit einer 8-köpfigen Familie, deren anerkannter Mietzins von der Gemeinde auf CHF 1’350.00 gesetzt wurde. Die Beschwerdestelle SPG erhöhte diesen Betrag auf CHF 1’500.00. Die Entscheide stützten sich auf den kommunalen Mietzinsrichtwert für einen 4-Personen-Haushalt – weil der dortige Richtwert für Haushalte über 4 Personen keine Vorgaben mehr enthält – welcher angeblich CHF 1’350.00 vorsehen würde. Im Beschwerdeverfahren tauchte dann ein neues Merkblatt auf:

Der Gemeinderat reichte demgegenüber vor Verwaltungsgericht ein von den Beschwerdeführenden am 9. Dezember 2021 unterschriebenes “Merkblatt zur Sozialhilfe in der Gemeinde Q.” ein, wonach der ortsübliche Mietzins “für einen Vier-Personen-Haushalt und mehr” Fr. 1’450.00 inkl. Nebenkosten beträgt (Beschwerdeantwortbeilage 1). Die Ausführungen der Vorinstanz legen nahe, dass ihr dieses Dokument nicht vorlag bzw. dass ihr seitens der Gemeinde ein anderer Richtwert kommuniziert worden war (E. 1.1, Hervorhebungen durch mich)

Mit Blick auf Rechtsgleichheit und völkerrechtliche Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen gilt das Merkblatt – soweit es für Einheimische gilt – auf für Flüchtlinge:

Schliesslich wäre es mit dem Rechtsgleichheitsgebot und dem Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 1 und 2 BV) unvereinbar, den Beschwerdeführenden im Vergleich mit andern Bezügern von ordentlicher Sozialhilfe einen geringeren Wohnkostenbeitrag zuzugestehen. Entsprechend Art. 23 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (SR 0.142.30) gewähren die vertragsschliessenden Staaten den auf ihrem Gebiet rechtmässig sich aufhaltenden Flüchtlingen die gleiche Fürsorge und öffentliche Unterstützung wie den Einheimischen. (E. 1.3, Hervorhebungen durch mich)

Sodann wiederholt das Verwaltungsgericht, dass ein Merkblatt (auch ein von den Unterstützen unterzeichnetes) zwar herangezogen werden kann, jedoch keinen verbindlichen Rechtssatz darstellt:

Bei den Mietzinsrichtlinien handelt es sich nicht um verbindliche Rechtssätze, sondern um Verwaltungsverordnungen oder allgemeine Dienstanweisungen generellabstrakter Natur. Sie enthalten blosse Regeln für die Verwaltung und dienen einer vereinheitlichten Praxis, aber auch der erleichterten Rechtsanwendung durch die Behörden. Solche Verwaltungsverordnungen bedürfen keiner förmlichen gesetzlichen Ermächtigung, können aber, da sie von der Verwaltungsbehörde und nicht vom verfassungsmässigen Gesetzgeber stammen, keine von der gesetzlichen Ordnung abweichenden Bestimmungen vorsehen. Sie sind für Rechtsmittelbehörden wie das Verwaltungsgericht nicht verbindlich, werden aber mitberücksichtigt, sofern die Verwaltungsrichtlinien eine dem Einzelfall angepasste, sachgerechte Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen (E. 3.1, Hervorhebungen durch mich)

Nach allgemeinen Ausführungen dazu, dass Miezinsrichtlinien sich nach der Haushaltsgrösse zu richten haben (E. 3.2) und, dass sich die Mietzinsrichtlinien nach den örtlichen Verhältnissen zu richten haben (E. 4.1; § 10 Abs. 1 SPV/AG – heute ähnlich in § 15b SPV/AG) nimmt das Verwaltungsgericht eine ausführliche Analyse der vorhandenen 5.5-Zimmer Wohnungen und deren Mietzinse vor.

Die von der Vorinstanz dokumentierten Internetrecherchen (vgl. angefochtener Entscheid, Erw. 2.6.3) zeigen sieben Mietangebote. Die am 8. September 2020 und am 28. April 2020 an der X-Strasse, am 28. April 2021 an der S-Strasse sowie am 7. September 2020 im T-Quartier verfügbaren Wohnungen können allesamt nicht berücksichtigt werden; die Beschwerdeführerin 1.2 ist mit den sechs gemeinsamen Kindern erst im September 2021 und damit deutlich später in die Schweiz eingereist. Bei den am 10. September 2021 an der S-Strasse sowie am 10. Mai 2022 an der R-Strasse und verfügbaren Wohnungen handelt es sich um 5-Zimmer-Wohnungen. Den Beschwerdeführenden ist zuzustimmen, dass sich eine 5-Zimmer-Wohnung für eine 8-köpfige Familie (gerade aus Vermietersicht) grundsätzlich als zu knapp erweist. Dies gilt unabhängig davon, dass Kinder in der Sozialhilfe grundsätzlich keinen Anspruch auf ein eigenes Zimmer haben (SKOS-Richtlinien, B.3). Eine kleinere Wohnung kann daher nicht infrage kommen, weshalb die drei angeführten Inserate für 5-Zimmer-Wohnungen nicht berücksichtigt werden können. [Auflistung vorhandener 5.5-Zimmer Wohnungen]. Die Annahme der Vorinstanz, dass im massgebenden Zeitraum für eine 8-köpfige Familie angemessene Wohnungen mit einem durchschnittlichen Mietzins von Fr. 1’500.00 verfügbar waren, ist somit widerlegt. Aufgrund der Stichproben des Verwaltungsgerichts lag der mittlere Preisrahmen für eine 5,5-Zimmer-Wohnung von August 2021 bis Mai 2022 bei Fr. 1’800.00 bis 1’850.00 inkl. NK.

Damit macht das Verwaltungsgericht, was diverse kantonale Rechtsgrundlagen, Lehre und Rechtsprechung verlangen – von zahlreichen Sozialdiensten aber hartnäckig verweigert wird: Mietzinse müssen nach dem tatsächlichen Angebot festgelegt werden.

Im Ergebnis musste hier der tatsächliche Mietzins von CHF 1’610.00 übernommen werden.

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