Mitwirkungspflicht beseitigt nicht Untersuchungspflicht – bei mangelnder Mitwirkung sind Folgen schriftlich anzudrohen

Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen hält mit Entscheid B 2024/50 vom 25.09.2024 (Beschwerde führte die Gemeinde gegen einen departamentalen Rekursentscheid) fest, dass und inwieweit die Möglichkeit der Behörde, ihre Untersuchungspflicht mit Verweis auf die Mitwirkungspflicht zu verweigern, begrenzt ist.

Zum Ganzen die Regeste:

Die im Sozialhilfeverfahren geltende Untersuchungsmaxime entbindet die hilfesuchende Person nicht von der Obliegenheit, den massgebenden Sachverhalt darzustellen. Kann die hilfesuchende Person ihre Bedürftigkeit nicht rechtsgenüglich nachweisen und kann die Sozialhilfebehörde diese auch nicht mit anderen Erkenntnismitteln eruieren, ist das Unterstützungsgesuch materiell abzuweisen. Die Versagung einer Leistung wegen fehlender Mitwirkung ist folglich dann rechtswidrig, wenn die Sozialhilfebehörde den Sachverhalt selbst ermitteln kann. Im erstinstanzlichen Gesuchsverfahren kann an eine unterlassene Mitwirkungspflicht grundsätzlich keine Nichteintretensfolge geknüpft werden. Beabsichtigt eine Behörde, bei Nichtbefolgen einer Aufforderung zur Mitwirkung innert Frist einen Entscheid zu erlassen, ist die förmliche Androhung der Säumnisfolgen zwingend. Diese hat stets schriftlich zu erfolgen (Verwaltungsgericht B 2024/50). [Regeste, Hervorhebungen durch mich]

In vorliegendem Fall wurde ein bereits zu früherem Zeitpunkt durch die gleiche Gemeinde unterstützer, ausgebildeter Architekt aufgefordert, weitere Unterlagen u.a. zu seinen sporadischen Einkünften, den finanziellen Verhältnissen seines eingetragenen Partners und zur Erbschaft seiner verstorbenen Mutter einzureichen. Nach erfolgter Stellungnahme ohne die geforderten Unterlagen wurde auf das Gesuch nicht eingetreten.

Das Verwaltungsgericht ruft die allgemeinen Beweisschwierigkeiten und Lösungsansätze negativer Tatsachen in Erinnerung:

Gegenstand des vorliegend zu erbringenden Beweises bildet die Bedürftigkeit. Da folglich das Fehlen hinreichender Mittel dargetan werden muss, hat die betroffene Person eine so genannt negative Tatsache zu beweisen. Der entsprechende Beweis ist dadurch zu erbringen, dass positive Sachumstände nachgewiesen werden, aus welchen die negative Tatsache gefolgert werden kann. Die Sozialhilfebehörde ist verpflichtet, anhand positiver Sachumstände (beispielsweise Kündigung des Arbeitsverhältnisses, Vermögensentwicklung auf dem Sparkonto, Gesundheitszustand, familiäre Pflichten etc.) abzuklären, ob eine Bedürftigkeit vorliegt. Die gesuchstellende Person ihrerseits ist zur Mitwirkung angehalten, indem sie die notwendigen Aussagen macht respektive die erforderlichen Dokumente zu den Akten reicht. Da es naturgemäss leichter ist, das “Haben” zu beweisen als das “Nicht-Haben”, sind die Schwelle der rechtsgenüglichen Beweiserbringung sowie die Anforderungen an die Vollständigkeit des Gesuchsdossiers vernünftig anzusetzen (BGer 8C_50/2015 vom 17. Juni 2015 E. 3.2.1, 8C_1/2013 vom 4. März 2014 E. 4.2.2; vgl. allgemein F. Wolf  FERS, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl. 1999, S. 107; HÄNZI, a.a.O., S. 143 und 150) [E. 3.3, Hervorhebungen durch mich]

Sodann ist in einem derart existenziellen Bereich, wie der Sozialhilfe, selbst bei ungenügender Mitwirkung zumindest erstinstanzlich ein materieller Entscheid aufgrund der objektiven Beweislast zu fällen und nicht ein Nichteintretensentscheid:

Im erstinstanzlichen Gesuchsverfahren kann an eine unterlassene Mitwirkungspflicht grundsätzlich keine Nichteintretensfolge geknüpft werden. Vielmehr führt eine ungenügende Mitwirkung in der Regel dazu, dass die Leistung, um welche ersucht wird, verweigert wird (vgl. Cavelti /Vögeli , Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen, 2. Aufl. 2003, Rz. 608). Nichteintretensentscheide sind aufgrund des Rechtsverweigerungsverbots (Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, SR 101) in einem derart existentiellen Bereich wie der Sozialhilfe nur ganz ausnahmsweise zulässig, wenn das Unterstützungsgesuch völlig unsubstantiiert ist bzw. die Sozialhilfebehörde im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes keinen Anlass für Abklärungen hat. Auch wenn sich die nachfragende Person weigern sollte, bestimmte rechtserhebliche Auskünfte zu erteilen, ist deshalb in aller Regel ein materiell ablehnender Entscheid aufgrund der objektiven Beweislast zu fällen (Wizent , a.a.O., S. 527; zum Ganzen VerwGE B 2016/212 vom 14. Juli 2018 E. 3). [E. 3.5, Hervorhebungen durch mich.]


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