Keine Grundlage für Anwendung von Massnahmen im Wirkungsbereich der Sozialhilfe (und damit Anreizsystem) bei nicht-unterstützter Person

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern entschied im Jahr 2019, dass bei der Anrechnung eines EFB oder einer IZU im erweiterten Budget einer nicht-unterstützten Person im Rahmen des Konkubinatsbeitrages keine Unterscheidung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen vorzunehmen ist. Das Anreizsystem, welches für Sozialhilfebeziehende herangezogen wird, kann bei nicht-unterstützten Personen nicht zur Anwendung gelangen. Hierzu gibt es keine Grundlage.

Gegenstand war die Anrechnung eines Konkubinatsbeitrages eines nicht unterstützten IV-Rentners. Die Schlechterstellung der nichterwerbstätigen Personen nach SKOS-Richtlinie H.10 (in der heutigen Fassung Kapitel D.4.4.) stellt daher eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung (Art. 8 Abs. 1 BV und Art. 10 Abs. 1 Satz 1 KV/BE) dar.

E. 4.2.2. Die nicht unterstützten Konkubinatspartnerinnen oder Konkubinatspartner beziehen keine Sozialhilfeleistungen. Zwischen ihnen und der Sozialhilfebehörde besteht insoweit keine Rechtsbeziehung (vgl. Karin Anderer, a.a.O., Rz. 51). Massnahmen in den Wirkungsbereichen der Sozialhilfe sind ihnen gegenüber nicht angezeigt. Zu den Wirkungsbereichen gehören nach Art. 2 SHG die finanzielle Existenzsicherung, persönliche Autonomie, berufliche und soziale Integration und Lebensbedingungen. Die Sozialhilfebehörden haben die Integration der nicht unterstützten Konkubinatspartnerinnen oder Konkubinatspartner damit nicht zu fördern wie bei den Empfängerinnen und Empfängern von Hilfeleistungen (vgl. Art. 2 Bst. c i.V.m. Art. 3 Bst. f SHG). Sie haben der nicht unterstützten Person in Bezug auf die berufliche oder soziale Integration grundsätzlich auch keine Vorgaben zur Lebensführung zu machen bzw. Weisungen zu erteilen (vgl. BVR 2014 S. 162 E. 5.4.2). Für die Anwendung des Anreizsystems der Sozialhilfe besteht in diesen Fällen keine Grundlage. Der nicht unterstützten Person ist damit weder ein EFB noch eine IZU im Sinn des Sozialhilferechts zuzugestehen. Vielmehr ist in ihrem erweiterten Budget allenfalls ein dem EFB oder der IZU analoger Freibetrag bzw. eine analoge Zulage zu berücksichtigen. Dafür spricht zum einen, dass die nicht unterstützte Person im Vergleich zur unterstützten Person nicht schlechter zu stellen ist. Zum anderen soll das Einkommen und das Vermögen der nicht unterstützten Person nur angemessen berücksichtigt werden (vgl. vorne E. 2.3). Für die nicht unterstützte Person ist deshalb ein erweitertes Budget zu erstellen (vgl. vorne E. 2.5). Die lediglich analoge Gewährung eines EFB oder einer IZU bringt zum Ausdruck, dass diesem Betrag im Fall der nicht unterstützten Person nicht die gleiche Funktion zukommt wie bei der Bezügerin oder beim Bezüger von Sozialhilfe.

Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 9. Mai 2019, 100.2018.215 U, DAM/MAM/KIB

Diese Ansicht kritisiert Kathrin Amstutz (Urteil des Verwaltungsgerichts (Verwaltungsrechtliche Abteilung) vom 9. Mai 2019 i.S. Gemeinde Köniz gegen A. und B. und Regierungsstatthalteramt (VGE 100.2018.215) in: BVR 2019, S. 450). Nach ihrer Ansicht ist die Ungleichbehandlung von Ehegatten und Konkubinatspartner bei Bezug einer IV-Rente nicht einleuchtend. Eine bundesgerichtliche Klärung hierzu ist – soweit ersichtlich, noch nicht ergangen.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert